Ein Gastbeitrag von Frank Bothmann
Die Grundrechtebewegung steht vor der Herausforderung, die bestehenden Grundrechte im digitalen Zeitalter weiterzuentwickeln und neue Forderungen zu formulieren.
Die Bedeutung der Grundrechte
Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte wurden vor über siebzig Jahren formuliert. Traditionell gelten sie als Abwehrrechte der Bürger gegenüber dem Staat, dem das Gewaltmonopol übertragen wurde. Der Staat darf seine Befugnisse nur in einem Rahmen ausüben, der von diesen Grundrechten eingegrenzt wird.
Zu den grundlegenden Rechten zählen unter anderem:
- Schutz der Menschenwürde
- Freie Entfaltung der Persönlichkeit
- Glaubensfreiheit
- Gleichheit vor dem Gesetz
- Versammlungsfreiheit
- Schutz des Eigentums
- Petitionsrecht
Diese Rechte dürfen weder durch staatliches Handeln noch durch Dritte eingeschränkt werden. Doch mit der Digitalisierung ergeben sich neue Herausforderungen für deren Schutz.
Digitalisierung und die Erfassung persönlicher Daten
Das Internet und insbesondere Smartphones haben viele Alltagsbereiche digitalisiert: Einkäufe, Kommunikation, Mobilität und vieles mehr finden zunehmend online statt. Dabei werden permanent Daten erfasst und verarbeitet. Die massenhafte Datenauswertung ist mittlerweile zu einem zentralen Geschäftsmodell geworden, wodurch Menschen in ihrem Handeln transparent, beobachtbar und auswertbar werden. Die Frage stellt sich: Wie lassen sich Grundrechte in einer digitalisierten Welt sichern?
Datenerfassung – Immer und überall
Ein Beispiel für den massiven Eingriff in die Privatsphäre ist der Fall des VW-Konzerns. Das Unternehmen hatte Bewegungsdaten von rund 800.000 Fahrzeugen gesammelt und ungesichert gespeichert. Dies ermöglichte tiefe Einblicke in das Privatleben der Fahrzeughalter. Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs, kritisierte diesen Skandal: „Das Problem ist, dass diese Daten überhaupt erhoben und über einen so langen Zeitraum gespeichert werden. Dass sie obendrein schlecht geschützt waren, setzt dem Ganzen nur die Krone auf.“
Doch dies ist nur die Spitze des Eisbergs: Unsere Daten werden tagtäglich erfasst – durch Kundenkarten, Apps, Online-Konten, Nummernschilderkennungen im Parkhaus, Fitness-Tracker, Kartenzahlungen und Social-Media-Posts. Selbst das Bargeld, das anonymes Bezahlen ermöglicht, wird systematisch zurückgedrängt, um die Nachverfolgbarkeit von Transaktionen zu erleichtern.
Forderung nach einem Grundrecht auf analoge Lebensführung
Der Landesverband dieBasis NRW hat 2024 einen Grundsatzbeschluss gefasst: Er fordert ein Grundrecht auf analoge Lebensführung. Dieses beinhaltet:
- Das Recht, nicht digital erfasst zu werden und keine Datenspur zu hinterlassen
- Die Wahlmöglichkeit zwischen analogen und digitalen Services
- Das uneingeschränkte Recht, mit Bargeld zu bezahlen
- Die Freiheit, keinen digitalen Zwang zu erfahren, etwa durch die Pflicht zur Nutzung eines Smartphones für grundlegende Bedürfnisse wie Mobilität, Kommunikation oder Einkäufe
Die Einführung eines digitalen Zentralbankgeldes (CBDC – Central Bank Digital Currency) birgt erhebliche Risiken für die Grundrechte. Ein digitaler Euro könnte der Zentralbank und staatlichen Stellen umfassende Überwachungsmöglichkeiten eröffnen. Die Einführung wird auf EU-Ebene weitgehend ohne demokratische Legitimation umgesetzt. So könnte eine digitale Kontrolle entstehen, die die demokratischen Grundrechte massiv einschränkt.
Digitale Integrität in der Schweiz – Ein Vorbild?
Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass das Thema digitale Grundrechte dort bereits vorangetrieben wird. In mehreren Kantonen wurden Initiativen zur „Digitalen Integrität“ in die Verfassungen aufgenommen. Bislang geschah dies in:
- Genf
- Neuenburg
- Jura
- Basel-Stadt
- Zürich
Die entsprechenden Initiativen wurden von Abgeordneten verschiedener politischer Parteien eingebracht, woraufhin die Regierung einen Abstimmungstext entwerfen musste, der zur Volksabstimmung gelangte. In Basel-Stadt ist diese Initiative von einem Mitglied der Grünen Partei gestartet worden und vom Parlament angenommen worden. In Zürich ist der Prozess durch die Piraten-Partei durch eine sehr erfolgreiche Unterschriftensammlung angestoßen und vom Parlament angenommen wordem. Die Regierung muss nun einen Text erarbeiten über den die Züricher Bürger in 2026 abstimmen können. Auf Bundesebene läuft eine ähnliche Initiative unter www.digitale-integritaet.ch. Diese fordert unter anderem:
- Das Recht auf Vergessenwerden – Kontrolle über eigene Daten und deren Löschung
- Das Recht auf ein Offline-Leben – Schutz vor digitalem Zwang
- Das Recht auf Informationssicherheit – Schutz vor Datenmissbrauch
- Das Recht, nicht von Maschinen beurteilt zu werden – Schutz vor automatisierten Entscheidungen
- Das Recht auf Schutz vor Überwachung und Analyse – Freiheit von unkontrollierter Datensammlung
- Das Recht auf Schutz vor Verwendung digitaler Daten ohne Zustimmung – Kontrolle über die eigene digitale Identität
Diese Forderungen sollen sicherstellen, dass Bürger von staatlichen Stellen nicht zu einer digitalen Identität gezwungen werden und weiterhin Bargeld als Zahlungsmittel nutzen können.
Erweiterung der Grundrechte – Ein notwendiger Schritt
Die Entwicklungen in der Schweiz zeigen, dass eine Anpassung der Grundrechte an die digitale Realität erforderlich ist. Der Schutz der demokratischen Gesellschaft verlangt eine klare gesetzliche Verankerung digitaler Grundrechte. Der Landesverband dieBasis NRW hat mit seinem Grundsatzbeschluss einen ersten Schritt unternommen.
Auch in anderen Ländern findet diese Forderung Akzeptanz: Der Stadtrat von Straßburg hat kürzlich das Recht auf digitale Integrität auf lokaler Ebene beschlossen. Dies könnte als Inspiration für weitere Initiativen dienen – auch in Deutschland.
Schweden, das Land, dass das bereits sehr weit in der digitalen Realität angekommen ist und Bargeld fast schon abgeschafft hat, macht gerade eine Rolle rückwärts. Der schwedische Staat fordert seine Bürger auf, wieder mehr mit Bargeld zu zahlen. Der Grund: was passiert bei Hackerangriffen oder generell in einem Ausnahmezustand, wenn digitale Systeme nicht funktionieren?
Fazit: Grundrechte müssen mit der Zeit gehen
Die Digitalisierung bringt immense Vorteile, aber auch erhebliche Risiken für die Freiheit des Einzelnen. Es liegt an der Gesellschaft, digitale Überwachung und Zwang zu verhindern. Ein erweitertes Verständnis der Grundrechte ist notwendig, um auch im digitalen Raum Selbstbestimmung und Privatsphäre zu garantieren. Die politische Arbeit für digitale Integrität sollte daher konsequent weitergeführt werden.
#dubistdieBasis