Deutschland gilt als Hochsteuerland. Nicht nur wegen der Einkommens- und Unternehmenssteuern, sondern auch wegen eines wenig bekannten, aber umso schärferen Instruments: der Wegzugsbesteuerung. Sie trifft Unternehmer und Anteilseigner, die Deutschland verlassen wollen, besonders hart und wirft nicht nur steuerliche, sondern auch verfassungs- und europarechtliche Fragen auf.

Ein Blick zurück: Von der Reichsfluchtsteuer zur „Lex Horten“
Die Idee, Menschen beim Verlassen des Landes steuerlich zu belasten, hat in Deutschland eine lange und dunkle Tradition. Bereits 1931 führte die Weimarer Republik die Reichsfluchtsteuer ein, die unter den Nationalsozialisten zum Instrument der Enteignung vor allem jüdischer Bürger wurde. Trotz NS-Vergangenheit blieb die Steuer nach dem Krieg bis 1953 bestehen.
1972 feierte die Idee ein Comeback: Mit der sogenannten „Lex Horten“ reagierte der Gesetzgeber auf den Fall des Unternehmers Helmut Horten, der sich rechtzeitig vor dem Verkauf seiner Firmenanteile ins steuerlich günstigere Ausland absetzte. Die Folge: § 6 Außensteuergesetz, die heutige Wegzugsbesteuerung, war geboren. Und sie wurde seither stetig verschärft.
Was heute gilt und was teuer wird
Wer mehr als 1 % an einer Kapitalgesellschaft hält und seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, gilt steuerlich so, als hätte er seine Anteile verkauft. Der Staat verlangt Steuern auf fiktive Gewinne, obwohl kein Euro tatsächlich geflossen ist.
Bis 2022 konnten Betroffene in der EU immerhin eine zinslose Stundung beantragen. Doch mit der Umsetzung der ATAD-Richtlinie wurde es ernst:
- Keine zinslose Stundung mehr, auch nicht innerhalb der EU
- Stattdessen: Ratenzahlung über sieben Jahre, nur mit Sicherheitsleistungen
- Einzige Ausnahme: Rückkehr innerhalb von sieben Jahren, dann kann die Steuer erlassen werden
Nächste Runde der Verschärfung: ETFs, Fonds und mehr
Ab dem 1. Januar 2025 greift der Staat noch tiefer: Auch Anteile an Investmentfonds (inkl. ETFs) unterliegen dann der Wegzugsbesteuerung, wenn sie mindestens 1 % betragen oder einen Wert von 500.000 € überschreiten. Damit geraten auch Privatanleger ins Visier, die bisher glaubten, mit Fondsinvestments auf der sicheren Seite zu sein.
Unternehmer reagieren und der Staat zieht nach
Viele Unternehmer sehen sich durch die Wegzugsbesteuerung in die Enge getrieben. Wer sein Lebenswerk ins Ausland mitnehmen will, muss unter Umständen Hunderttausende Euro an Steuern zahlen, obwohl er seine Firma gar nicht verkauft hat. Die Reaktionen:
- Liquidation statt Auswanderung: Firmen werden vor dem Wegzug aufgelöst.
- Holding-Modelle und Stiftungen: Strukturierungen zur Steuervermeidung.
- Temporäre Auswanderung: Rückkehr nach sieben Jahren zur Nutzung der Erlassregelung.
- Kapitaltransfer ins Ausland: Noch vor dem Wegzug.
Der Gesetzgeber wiederum schärft nach, prüft weitere Bewertungsregeln und will Umgehungsmodelle erschweren. Ein steuerlicher Rüstungswettlauf, auf dem Rücken der Unternehmer.
Kritik: Besteuerung ohne Geldfluss und mit Freiheitsfrage
Immer mehr Kritiker sehen in der Wegzugsbesteuerung nicht nur ein fiskalisches Instrument, sondern einen Eingriff in die Grundrechte. Der Unternehmer Horst Lüning etwa zieht in seinem Podcast direkte Parallelen zur Reichsfluchtsteuer und spricht von einer „steuerlichen Verstaatlichung“.
Die Kernkritik:
- Keine Liquidität, aber Steuerpflicht: Wer keine Anteile verkauft, hat auch kein Geld zur Verfügung, die Steuer wird trotzdem fällig.
- Generelles Misstrauen: Der Staat unterstellt grundsätzlich eine Steuerfluchtabsicht.
- Eingriff in die Eigentums- und Bewegungsfreiheit: Der Preis für die Auswanderung ist hoch, wirtschaftlich wie auch psychologisch.
In einem freien Land sollte man seinen Wohnsitz frei wählen dürfen. Doch wenn der Staat diese Freiheit mit Millionenbeträgen „bepreist“, stellt sich die Frage: Wird hier noch gerecht besteuert oder eher bestraft?
Europavergleich: Deutschland sehr streng
Im europäischen Vergleich fällt Deutschland durch seine Strenge auf. Während viele EU-Staaten die Besteuerung nur bei tatsächlichem Verkauf der Anteile vornehmen oder großzügige Stundungen gewähren, greift die deutsche Finanzverwaltung bereits beim formalen Wegzug zu, ganz gleich, ob real Gewinne erzielt wurden oder nicht.
Was Privatpersonen wissen sollten
Auch Nicht-Unternehmer können betroffen sein: Wer z. B. 1 % oder mehr an einer GmbH hält, und Deutschland verlässt, fällt unter die Regelung, sofern er in den letzten 12 Jahren mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war.
Beispiel:
10 % Beteiligung an einer GmbH mit einem fiktiven Wert von 500.000 €. Ohne Verkauf entsteht eine Steuerlast von über 100.000 € , fällig bei Wegzug.
Aktien oder Immobilien? Sind nicht betroffen, es sei denn, Fondsanteile überschreiten ab 2025 die neuen Schwellen.
Fazit: Freiheit hat ihren Preis, besonders beim Wegzug
Die Wegzugsbesteuerung steht symptomatisch für die zunehmende steuerliche Belastung leistungsstarker Bürger in Deutschland. Was als Sicherung von Steueraufkommen begonnen hat, ist heute ein komplexes, wirtschaftlich gefährliches und rechtlich umstrittenes Konstrukt. Unternehmer zahlen auf nicht realisierte Gewinne und werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Wer betroffen ist, sollte:
- Frühzeitig prüfen, ob er unter die Wegzugsbesteuerung fällt
- Professionelle Steuerberatung einholen
- Rückkehroptionen und Stundungen prüfen
- Beteiligungen ggf. rechtzeitig umstrukturieren
Denn eines ist klar: Wer nicht vorbereitet ist, zahlt nicht nur unnötig viel, sondern gibt auch ein Stück seiner persönlichen und wirtschaftlichen Selbstbestimmung auf.
Weiterführende Info:
Horst Lüning über Wegzugsbesteuerung und Verstaatlichung
Ein kritischer Blick auf Geschichte, Gegenwart und mögliche Zukunft dieses umstrittenen Gesetzes.