Nordrhein-Westfalen ist eines der wenigen deutschen Bundesländer mit einer eigenen, durch Volksabstimmung bestätigten Landesverfassung. Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen trat am 11. Juli 1950 in Kraft, nachdem sie am 18. Juni 1950 in einem Volksentscheid von 57 % der wahlberechtigten Deutschen in NRW angenommen wurde. Damit wurde die Landesverfassung vom Souverän, dem Volk, bestätigt und erhielt demokratische Legitimation. Dies unterscheidet die NRW-Verfassung grundlegend vom Grundgesetz, das nicht direkt vom Volk bestätigt wurde.
Die Landesverfassung bildet somit den verfassungsrechtlichen Grundstein für die parlamentarische Demokratie in NRW. Sie garantiert Grundrechte in Verfassungsrang und spiegelt den Willen der Bürgerinnen und Bürger von Nordrhein-Westfalen wider. Bis heute wurde die Verfassung 20 Mal überarbeitet, was ihre Anpassungsfähigkeit und lebendige Weiterentwicklung dokumentiert.
Ein historischer Abriss
Nach dem zweiten Weltkrieg (1945) war Deutschland besetzt und in Zonen unterteilt. Dabei war Nordrhein-Westfalen Teil der britischen Besatzungszone. Die britische Militärregierung gründete am 23. August 1946 per Militärverordnung Nr.46 durch die Vereinigung der preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen das Land Nordrhein-Westfalen. Das Land Lippe kam am 21. Januar 1947 hinzu.
Die Briten ließen 1947 die Bildung eines verfassungsgebenden Landtags zu. Dieser Landtag konnte, unter Vorbehalt der Zustimmung der britischen Besatzungsmacht, eine eigene Verfassung ausarbeiten. Nach der Verabschiedung der Verfassung im Landtag wurde auf britisches Verlangen eine Volksabstimmung durchgeführt. Erst nach Zustimmung durch das Volk genehmigten die Briten 1950 die Landesverfassung
Politisch endete die britische Besatzung in NRW am 5. Mai 1955. Ab diesem Zeitpunkt wurden von den Briten Joint Headquarters (JHQ) z.B. in Rheindahlen bis 2013, HQ British forces Germany in Bielefeld bis 2020, British Army of the Rhine (BAOR) bis 1994, Kasernen (z.B. Herford bis 2015), Truppenübungsplätze, Schulen, Kirchen, British Council und Konsulate installiert.
Die Briten waren entscheidend an der Gründung von NRW beteiligt, haben aber spätestens seit 1955 keinen direkten Einfluss mehr auf die Landespolitik.

Anerkennung der Grundrechte auf Verfassungsebene
Besonders hervorzuheben ist, dass die Verfassung von Nordrhein-Westfalen die Grundrechte nicht nur anerkennt, sondern ihnen auch ausdrücklich Verfassungsrang verleiht. In Artikel 4 GG heißt es: „Die Grundrechte sind Bestandteil dieser Verfassung.“ Damit sind die Grundrechte in NRW nicht nur einfache Gesetzesnormen, sondern direkt in die Verfassungsordnung eingebettet und ein klares Bekenntnis zu einer wertegebundenen Demokratie.
Volksabstimmung 1950: Zustimmung trotz Vorbehalten
Die NRW-Verfassung entstand unter Anleitung einer Besatzungsmacht und wurde mit gemischtem öffentlichem Echo angenommen. Die Inhalte dieser Verfassung sind bis heute teils umstritten. Das Land wurde per Verordnung der Briten am 23.8.46 errichtet, nicht per Abstimmung. Die Bevölkerung selbst hatte dabei keine Mitspracherechte. Der erste Landtag wurde zunächst ernannt, nicht gewählt. Die Entstehung der Verfassung stand unter Aufsicht der Briten. Selbst die spätere Volksabstimmung wurde nur mit britischer Genehmigung ermöglicht.
Am 18. Juni 1950 durften die Bürgerinnen und Bürger von Nordrhein-Westfalen ihre Stimme zur neuen Landesverfassung abgeben. Es stimmten, bei einer Wahlbeteiligung von rund 65%, etwa 57% (2.675,793 Stimmen) zu, 43% (2.017,675 Stimmen) stimmten dagegen. Ein Drittel der Wahlberechtigten nahm nicht an der Wahl teil.
Gründe für die vergleichsweise geringe Zustimmung:
- Die enge Verflechtung von Staat und Kirche stieß auf Widerstand
- Religionsunterricht als Pflichtfach galt als unzeitgemäß
- Die Verfassung schien ein Kompromiss zwischen alten Eliten und britischer Ordnungspolitik zu sein und nicht ein Ausdruck echten Volkswillens
Wieviel direkte Demokratie steckt in der Verfassung von NRW?
Direkte Demokratie wurde 1950 nicht in die Landesverfassung aufgenommen. Teils weil man historisch durch die Weimarer-Republik und die NS-Erfahrung vorsichtig war, teils weil eine parlamentarische Mehrheit aus CDU und Zentrum-Partei, die die Verfassung dominierten, ein repräsentatives Modell bevorzugten. Die SPD und die KPD forderten direkte Demokratie, wurden aber überstimmt. Dabei kannte das 1949 in Kraft getretene Grundgesetz direkte Demokratie nur auf Länderebene. Erst durch Verfassungsänderung von 1970 wurde direkte Demokratie auf kommunaler Ebene eingeführt.
Entwicklung der direkten Demokratie in NRW:
- 1970: Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene.
- 2002: Verankerung direkter Demokratie auf Landesebene mit Artikel 68 der Landesverfassung.
Art. 68 der Landesverfassung erlaubt seit 2002:
- Volksinitiativen (um Themen in den Landtag einzubringen)
- Volksbegehren (mit Quorum, d.h. Unterschriftensammlung)
- Volksentscheide (mit hohen Zustimmungsanforderungen)
Einschränkungen:
- Themen wie Landeshaushalt, Steuern, Beamtenrecht und Personalfragen sind ausgeschlossen.
- Die Hürden sind hoch: z. B. 8 % Quorum (ca. 1,1 Mio. Stimmen) für ein Volksbegehren, beim Volksentscheid müssen 15 % der Wahlberechtigten zustimmen.
In NRW sind die Hürden und Voraussetzungen zu 1-3 so hoch, dass es erst zwei erfolgreiche Volksinitiativen seit 2002 gab. Das sind die Diätenreform 2005 in NRW und das Fahrradgesetz im Jahr 2019. Volksbegehren und Volksentscheide waren bisher in keinem Fall erfolgreich.
Erfolgsbilanz aller Volksinitiativen, -begehren und -entscheide seit 2002
Verfahren | Anzahl | Erfolgreich | Erläuterung |
Volksinitiativen | 20 | 2 (10%) | 2 vollständig umgesetzt |
Volksbegehren seit 2002 | Wenige | Keine | Quorum von 8% kaum erreicht |
Volksentscheide | 0 | — | Kein einziges Volksbegehren führte bislang zu einem Entscheid |
Fazit: Demokratisch legitimiert, aber direkte Demokratie bleibt in NRW begrenzt
Die Verfassung von Nordrhein-Westfalen wurde demokratisch durch das Volk legitimiert und garantiert Grundrechte mit Verfassungsrang, was ein starkes Fundament für das Land ist. Trotz nachträglicher Aufnahme direkter Demokratie 2002 ist deren Wirkung durch hohe Hürden und Themenausschlüsse stark begrenzt.
DieBasis NRW fordert daher:
- Absenkung der Hürden für Volksbegehren und -entscheide
- Aufhebung der thematischen Ausschlüsse
- Verbindlichere Umsetzung von Volksinitiativen
Nur so kann Artikel 68 der Landesverfassung mehr sein als ein symbolisches Instrument und direkte Demokratie in NRW tatsächlich gelebt werden.